Von allen abstrusen Ebenen und Enden,
oder nicht enden wollender Raumsymbolik
Von Gregor Jansen
Mit der Bezeichnung Ausstieg aus dem Bild wird in der neueren Kunstgeschichte eine Entwicklung in den 1960er Jahren bezeichnet, in deren Folge die Künstler zunehmend das traditionelle Bildformat kritisierten und eine Vielfalt neuer Ausdrucksformen entwickelten. Seit Ende der 1950er Jahre die Nachwirkungen des Zweiten Weltkrieges und des Kalten Krieges haben weiterhin einen starken Einfluss auf die Künstler – zeichnet sich eine grundsätzliche Irritation und radikale Infragestellung überlieferter sozialer sowie künstlerischer Werte ab. Kunst wird zunehmend zur Antwort auf Wirklichkeit (Laszlo Glozer). Die Künstler wandten sich dabei insbesondere Fragen nach der Materialität und der Räumlichkeit ihrer Werke zu. Ebenso wurde in Happening und Fluxus, aber auch in der Konzeptkunst, der Werkbegriff selbst hinterfragt und kritisiert.
Auf dieser Problemebene entwickelte sich auch die Suche nach neuen Mythen. Die herkömmlichen Bilderformate konnten nicht länger allein als Träger von Botschaften funktionieren, es bedurfte einer Erweiterung der Formen und des Ausdrucks. Der Bildträger wurde versuchsweise beschädigt, zerstört oder negiert, um dadurch eine Ausdehnung und mediale Grenzüberschreitung zu erreichen. Damit wurde das Medium selbst zum Träger von Botschaften. Obwohl Harald Szeemann bereits in den 1960er Jahren mit dem Terminus der Individuellen Mythologien arbeitete und diesen 1963 im Rahmen der Étienne Martin-Ausstellung in der Kunsthalle Bern erstmals verwendete, wurde die Bezeichnung erst 1972 zum Schlagwort für ein künstlerisches Phänomen. Als Meilenstein gilt die Kasseler documenta 5, auf der Harald Szeemann, der für die Auswahl der Künstler verantwortlich zeichnete, unterschiedlichste künstlerische Positionen zum Thema Befragung der Realität unter dem Sammelbegriff der Individuellen Mythologien vereinte. Zu den damals gezeigten Künstlern gehörten unter anderem Joseph Beuys, Christian Boltanski, James Lee Byars, Jean Le Gac und Paul Thek.
Spätestens jetzt sollten Paul Schwer und die Doppelausstellung „Von beiden Enden“ unsere Aufmerksamkeit wecken. Die Faszination eines erweiterten Malerei- und Kunstbegriffs, der Ausstieg aus dem Bild und die Individuellen Mythologien lassen direkte Analogien zu den Werken und raumgreifenden Installationen und Inszenierungen erkennen, wie sie aktuell in den Ausstellungen der Museen in Goch und in Ratingen gezeigt werden. Das Experimentieren mit Material, Farbe und Form, Licht und Bild, Malerei und Fotografie ist überaus vielfältig und komplex. Der Autor ringt förmlich um Worte, um diese Fülle zu beschreiben – vergleichbar dem Eindruck, den ein barockes Kirchenensemble mit seiner Licht- und Raumorgie, wie zum Beispiel die Wallfahrtskirche Birnau am Bodensee, bietet. Ähnlich begriff in Düsseldorf Schwers Lehrer Erwin Heerich die Idee des harmonischen Einheitswerkes von Architektur, Skulptur und Landschaft, wie es auf der Insel Hombroich erlebt werden kann. Vom Schwer selbst wird auch Joseph Beuys als Einfluss genannt.
Angeregt durch das Studium der Werke und Kataloge sowie von Texten von und zu Paul Schwer im Rahmen seiner beiden Ausstellungen Von beiden Enden, habe ich mich entschlossen, den Ausstieg aus dem Bild als einen Einstieg in eine freie Bildexegese zu wagen. Es fließen zahlreiche Notizen und Überlegungen, Assoziationen und Allusionen in den folgenden Text ein, der gewissermaßen ein Gedankenspiel zu seinem plastischen Kosmos darstellt.
Den Ausstieg aus dem Bild haben bereits zahlreiche Künstler der Moderne wie Kasimir Malewitsch oder Piet Mondrian vorbereitet. Ebenso spannend waren die Lichtkunstobjekte eines Zdeněk Pešánek (der auch Plexiglas verwendete), die skulpturalen Materialexperimente der Gebrüder Naum Gabo und Antoine Pevsner oder der Licht-Raum-Modulator (1922–1930) von László Moholy-Nagy. Drei bewegliche, auf einer rotierenden Scheibe angeordnete Elemente aus Metall bzw. Glas bilden das Herzstück des Licht-Raum-Modulators. Seine vollständige Wirkung entfaltet er jedoch erst in einem abgedunkelten Raum an den Wänden, wo er im Zusammenspiel mit farbigem und weißem Licht spektakuläre Schattenbilder hervorbringt, gleichsam ein rein abstraktes Licht-Malen in fortwährender Bewegung. Auch Wassily Kandinsky verstand die rein abstrakte Form ohne gegenständliche Überbrückung als ABSOLUT. Reine Malerei ist dann eine absolute Malerei, wenn – von jeglichem Gegenstand unabhängig – mit abstrakten Formen und Bildelementen gearbeitet wird, die der Maler frei erfindet.
In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts haben Maler der jüngeren Generation ihre Bildinhalte weiter abstrahiert, reduziert, geometrisiert. Lucio Fontana begann seine monochromen Bilder aufzuschlitzen, um eine neue Auffassung von Bild, Oberfläche, Haut und Raum zu verdeutlichen. Weitere künstlerische Angriffe auf Bilder folgten, und die Vielfalt der verwendeten Materialien nahm zu, so wurden jetzt Stoffe eingesetzt, die bis dahin als kunstunwürdig galten, wie profane Alltagsgegenstände bis hin zu Müll. Über das klassische Bildformat hinaus wurde die Entkopplung von Botschaft und Bild auf den Körper des Künstlers, auf Objekte der Lebenswelt, Schrift oder Licht ausgedehnt. Als weiteres Kunstmittel begannen sich Performances und Happenings in Kunstkreisen zu etablieren. Der Ausstieg bzw. die Überwindung des Bildes waren vollzogen und gelungen. Kehren wir noch einmal zurück zu Kandinsky. In seinen Schriften mit Kunst-revolutionärem Sendungsbewusstsein spricht er von der Epoche des großen Geistigen der Menschheit, in der es zu einer Synthese der Künste und einer Synthese zwischen Künsten und Wissenschaften kommen müsse (1926): Mit Ablehnung des positivistischen (toten) Materialismus zugunsten des (lebendigen) Geistigen, der Dimension des Nichtmateriellen.
Mit diesem kurzen Blick auf die Bildwelten des 20. Jahrhunderts, ergeben sich, bezogen auf die Skulpturen, Werkformationen und Arrangements der Ausstellung(en) von Paul Schwer, mannigfaltige Erzählebenen zwischen geometrischem Raumempfinden und abstrakten Farbfeldern oder abstraktem Raumempfinden und konstruktiven Farbfeldern. Diese Anmutung wechselt permanent und teilweise in fließenden Übergängen. Die bereits früher beschriebene Mischung aus poetischer Beschwingt- und Weichheit, die sich zwischen Polen (konstruierter) Statik und (kontingenter) Dynamik hin- und herbewegt (Stephan Berg), drückt sich ebenso aus in Keine Schönheit ohne Gefahr, wie es Johann Hartle den Einstürzenden Neubauten entlehnte. Für Hartle führt die Arbeit von Paul Schwer diese drei Begriffspaare in eine Raumsymbolik zusammen, die Spontanität der politischen Äußerung wie auch die Aneignung des eigenen Körpers befördert. Schwers mit Aplomb vorgebrachten Interventionen zielen auf eben jene im 20. Jahrhundert entwickelten Repertoires aus Form, Farbe und Raum einer für autonom befundenen Skulptur, welche es so niemals gab. Doch rollen wir das Feld nochmal von vorne aus.
„Störrische« Farbfelder begegnen uns leider heute immer noch, und zwar hauptsächlich in Dokumenten, die schon eine »bewegte« Vergangenheit hinter sich haben. Damit von diesen in Zukunft keine weitere Gefahr mehr ausgeht, bietet sich der von uns beschriebene Lös(ch)ungsweg an.“ Diese im Internet gefundene Passage hat keinerlei Bezüge zu Kunst, sondern es geht einzig um Fehler im Computerprogramm InDesign. Reizvoll erscheint es mir jedoch an dieser Stelle, eine Kunst-evolutionäre Spurensuche zur Arbeit von Paul Schwer zu unternehmen, dessen Farbfeldmalerei eine weitere Dimension mittels Glas, Plexiglas oder auch PET erhielt. Color Field Painting bzw. Farbfeldmalerei gilt als erste mit Blick auf Europa gleichberechtigte, internationale Kunstströmung, die sich in den 1940er und 1950er Jahren in den USA entwickelte und für ein grundlegendes und zugleich radikales Hinterfragen der traditionellen malerischen Bildauffassung steht. Sie definiert sich über den visuellen Illusionismus und negiert die konventionelle Abbildfunktion der Malerei.
Als wichtige Vertreter sind neben Ad Reinhardt Barnett Newmann und Mark Rothko, aber auch Frank Stella und Donald Judd zu nennen. Über deren specific objects (Judd) versuchte sich der neue oder erneute Geist an einer die Welt, das Existierende, das Reale ins Bild holenden Ebene „Die Flachheit der Malerei wird überwunden und der Schritt in den Raum spiegelt sich im selbstbewusst ins ‚erweiterte Bild‘ tretenden Betrachter, der im Zweifelsfall, ohne es zu wollen, selbst Teil der Inszenierung wird“ (Martin Engler). Im Jahr 2008 hat Isabelle Malz auf die „ins unendliche gehende Falte [… als] das Charakteristikum des Barock“ bei Gilles Deleuze verwiesen und zahlreiche atmosphärische Zwischenräume bis hin zu geografischen Ankerpunkten wie Istanbul und Shanghai in Schwers Kunst beschrieben. Dynamik ist bei allen Autoren ein wiederkehrendes Stichwort, welches mit Licht, Form, Material, Raum, Bewegung oder Architektur fortwährende Kontraste beschreibt. Der Betrachter kann real im Raum alle diese Elemente als ein wunderbar ausbalanciertes Gefüge erfahren und erspüren und aufgrund ihrer morbiden Fragilität auch körperlich erleben. Faltungen und Verformungen von Material – das als transparenter Bildträger von Malerei oder reproduziertem Bild (in Ratingen Fotos eines Cafés in Istanbul) in Kombination mit Metall und Leuchtstoffröhren, Kabeln und Gestellen dient – verheißen eingefrorene, starre Formationen. In diesen Formen vermag jeder Betrachter andere Figuren, Tiere, Dinge in ihrer Gesamtheit oder in Detailstrukturen herauszulesen. Die durch Wärme formbar gewordenen PET-Platten scheinen in ihrer formlos geformten abstrakten Form wie in der Transformation stecken geblieben. Das ursprüngliche Produkt scheint in krassem Gegensatz zum Zielprodukt zu stehen. Sicher ist, dass Schwer allzu deutliche Assoziationsmöglichkeiten seiner Metamorphosen vermeidet. Wie bei einem Schmelzvorgang, erweitert durch Schütten, Verbiegen, Ziehen, Löchern, Stauchen, allgemein Umformen, oder dem Spritzblas-Verfahren zur Herstellung der handelsüblichen PET-Massentrinkflasche, ist die Thermoformbarkeit ein faszinierend-energetisches Moment des skulptural-offenen, auch zeitlich gedehnten und mithin futurologischen Plastik-Denkens. Alles ist im Fluss, stete Veränderung. Bereits aus der Antike stammt die Formel panta rhei (altgriechisch πάντα ῥεῖ, deutsch: alles fließt), ein auf den griechischen Philosophen Heraklit zurückgeführter Aphorismus zur Charakterisierung seiner Lehre. Ihre lateinische Entsprechung (cuncta fluunt) findet sich im 15. Buch der Metamorphosen in der Rede des Pythagoras, in der Ovid das naturphilosophische Fundament seiner Metamorphosen darlegt. Alles fließt!
All diese Re-Betrachtungen und -Lektüren im Zusammenhang mit Paul Schwers Doppelausstellung Von beiden Enden in den Museen Ratingen und Goch haben den Verfasser zu einer weiteren Rückbetrachtung, aber auch zu einer Reise in die Zukunft angeregt. Denn die Kunststoffskulpturen wirken zum Teil zerfetzt, zerstört und doch transparent, farbig, lebendig – ein faszinierendes Spiel von Zerstörung und Schöpfung; doch reisen wir zunächst in die Zukunft.
Wir befinden uns im Jahr 2122. Das Raumschiff Nostromo, ein Erzfrachter der Firma Weyland-Yutani, ist nach einer langen Reise durch den Weltraum auf dem Rückweg zur Erde als es ein Funksignal von einem weitab vom Heimatkurs liegenden, scheinbar unbewohnten Himmelskörpers auffängt. MU/TH/UR (auszusprechen wie das englische mother, Mutter) 182, der Zentralcomputer des Raumschiffs, ändert selbstständig den Kurs und weckt die Besatzung, die sich bis dahin im Kälteschlaf befunden hat. Das Signal wird zunächst als Notsignal interpretiert. Aufgrund eines allgemeinen Protokolls ist man verpflichtet, diesem Signal zu folgen und Hilfe zu leisten. Die Crew landet auf dem unwirtlichen Planetoiden (Acheron) LV-426, um dem Anlass des Funksignals auf den Grund zu gehen. Zunächst entdeckt sie das Wrack eines außerirdischen Raumschiffs und in dessen Innerem das versteinerte Skelett des anscheinend einzigen Besatzungsmitgliedes. In weiteren Gewölbe findet Kane, ein Besatzungsmitglied der Nostromo, eine Ansammlung großer, eiförmiger Gebilde. Zwischenzeitlich kommt beim dritten Offizier, Ellen Ripley, die an Bord des Landefahrzeugs das aufgefangene Signal analysiert, der Verdacht auf, es handele sich bei dem Signal eher um ein Warn- als um ein Notsignal. Doch der Wissenschaftsoffizier Ash ignoriert ihre Bedenken. Neugierig nähert sich Kane einem der Gebilde, in dessen Innerem sich etwas bewegt. Das Ei öffnet sich, etwas schießt heraus, durchbricht Kanes Helmvisier und umklammert sein Gesicht. […]
Spätestens jetzt oder schon aufgrund der Namen Nostromo und MU/TH/UR werden viele Leser die Science-Fiction-Story des legendären Kinofilms ALIEN von Ridley Scott erkannt haben. 1979 in den Kinos, war der Film eine Sensation und ein Schock, in Bezug auf Machart und Ästhetik. Ein Schweizer Künstler prägte das Erscheinungsbild der Aliens und der filmischen Ausstattung: HR Giger. Er war verantwortlich für das faszinierende Design eines biomechanisch-horrorhaften fremden Wesens wie auch für das an Hans Poelzigs Hallengebilde erinnernde außerirdische Raumschiff. Für diese Mitwirkung wurde ihm 1980 ein Oscar in der Kategorie Beste visuelle Effekte verliehen. Beim Betreten der Ausstellung von Paul Schwer in Ratingen hatte ich sofort die Assoziation zum Film ALIEN. Alles verwob sich in einer materielosen Körperform und in Lichtreflexen, die Skulpturen entwickelten ein organisch-fließendes Eigenleben oder futurologische Dimensionen jenseits unseres Menschenverstands. Unmittelbar hatte ich die Bilder aus dem Kinofilm aus dem Jahre 1979 – und dem zweiten Teil von James Cameron aus dem Jahre 1985: Aliens – Die Rückkehr (Originaltitel: ALIEN) – vor Augen, inmitten der zeitgenössischen Kunstinstallation. Lag diese doch zur Entstehungszeit der Kinofilme weit in der Zukunft. Die Raumsituation und die Kunststoffplastiken erzeugen eine magische Stimmung voller Horrorelemente und apokalyptischen Eindrücken, man ist hingerissen und irritiert und sucht fasziniert nach dem Flüssigem im Erstarrtem und der Essenz der Malerei, die Paul Schwer uns als fremdes Medium körperlich vorführt.
Die Begegnung mit dem Fremden und Neuen ist – in der Kunst wie im Leben – Motivation jeden Handelns. Es geht darum, Formen- und Körpersprache in jedweder Form zu erweitern und die begrenzten Fähigkeiten unseres Sinnes- und Gedankenapparates zu reizen, Reaktionen hervorzurufen, die erneut in Kommunikation münden und ein soziales Gefüge und seine Identität(en) bestimmen helfen. Im Film „Alien“ sind alle diese Elemente vorhanden und auf verschiedenen Ebenen visuell, symbolisch, imaginär und psychologisch äußerst komplex implementiert und verwoben. Slavoj Žižek hat wilde Thesen in der Anwendung von Lacan nicht allein auf den Film ALIEN formuliert. Er beschreibt: Das Untote tritt ins Leben (Lamelle bei Lacan), und die Geburt des Neuen zerstört das von der Mutter (MU/TH/UR, des Computers) beschützte Leben an Bord des Raumkreuzers. Das Reale (oder Unbeschreibliche) umarmt das Gesicht und dringt in den Wirt ein, ist jedoch selbst unangreifbar, widersetzt sich für Žižek jeder symbolischen Ordnung. Und obwohl es so unbehindert in den Bereich des Imaginären drängen könnte, argumentiert Žižek, es sei nichtsdestoweniger eine Art Grenzbild: das Ur-Bild, um alle Bilder aufzuheben, das Ur-Bild, das die Imagination bis an die Grenzen des Unzeigbaren strecken will. Das Ding, die Vorstellung dieses Grenzbildes in der scheinbaren Unwiederholbarkeit des Alien selbst (zumindest sobald es seine größere, monströsere Form angenommen hat), bleibt im wahren Sinne fremd, und die Kamera scheint nicht bereit oder ist nicht in der Lage, dem Betrachter ein Bild davon zu zeigen. Das obszöne Zuviel, für das das Außerirdische steht, hält es auf Distanz. Ebenso wird das Symbolische vom „Alien“ selbst umgangen, es findet nur zweimal statt – zu Beginn bei Kane als Untotes: “Alien life form. It looks like it’s been dead a long time. Fossilised.” Und am Ende singt Ripley von ihrem Glücksstern, als würde sie dem frisch geborenen Wesen ein Nachtlied singen, was es ja letztlich und genau ist. In ALIENS, der psychologisch interessanten Fortsetzung des ersten Films, und der sich anschließende unbedeutenden, nur noch rein marketingrelevanten Alien-Saga, wird alles noch vertrackter und als packender Mutter-Fürsorge-Komplex starker Frauen dargestellt – in beiden Filmen ein insofern feministisches Statement. Wir sehen grandiose Metaphern einer aus den Fugen geratenen Welt und eines inhumanen Fortschritts als das alleinige Maß der Dinge. Was genau hat dies mit der Ausstellung von Paul Schwer zu tun, an welchen Stellen scheinen Verbindungslinien auf?
Da ist zum einen der Mediziner Paul Schwer, der als Arzt in der Kinder- und Jugendpsychiatrie arbeitet, ehe er 1981 ein Studium an der Düsseldorfer Kunstakademie bei Erwin Heerich beginnt, zum anderen der Künstler. In der Psychiatrie haben Wahrheit und Ausdruck ein faszinierend weites Spektrum. Vergleichbar geht es in der Kunst nicht mehr um Schönheit, sondern um ein Erfassen der Zeit und ihrer Fragestellungen. Paul Schwer, der 1951 in Hornberg im Schwarzwald geboren wurde, gehört wie der Kanadier James Cameron, geboren 1954 in Ontario, oder der britische Regisseur Ridley Scott, geboren 1937 in South Shields, einer Generation an, die auch mentalitätsgeschichtlich auf einer Ebene liegt.
Ridley Scotts Film Blade Runner aus dem Jahr 1982, basierend auf dem Roman Träumen Androiden von elektrischen Schafen? von Philip K. Dick, spielt in einem düster-futuristischen Los Angeles. Das Werk ist visuell derart beeindruckend, dass es für eine ganze Generation Cyberpunk-Literatur, -Musik und -Kunst als Inspiration diente, entstand es doch direkt in der Nachfolge von ALIEN.
Auch wenn die Werke Paul Schwers nur verschwommen an den düsteren Horror der dystopischen kinematographischen Science-Fiction-Szenarien erinnern, so scheint die radikale Infragestellung der Technik, des Fortschritts und der Umsetzung jenseits des technologischen Fortschritts spannend. Jenseits meint hier die Aufgabenstellung des künstlerisch forschenden Kinder- und Jugendpsychiaters, der bisweilen bei seinen Installationen und zeichnerisch gesetzten Leuchtstoffröhren an das Kernforschungszentrum CERN denken lässt, und einen klaren Verstoß gegen Einsteins Relativitätstheorie beschreibt, der seiner Meinung nach eine neue Theorie erfordern würde.
Überhaupt erinnern seine Ausstellungen in vielfältiger Weise und immer wieder an Zeichnungen und Konstruktionsskizzen. So formuliert er selbst: „Neben dem eher endzeitliche Stimmung verbreitenden, mit sich auflösenden und den Raum überwuchernden Malereiformen in Ratingen, und dem hermetisch apokalyptischen Raum mit der umgekippten Wellblech-Licht-Hütte, zeigt ein zweiter Raum in Goch eher neue Formen der Verwandlung nach einem zerstörerischen Akt … Rahmungen, Fensterblicke, Spiegelungen, amorphe Skulpturen und anorganische, sich wiederholende Raumstrukturen etc…“
Das gekippte Haus und die Konstruktionselemente von Gitterwänden im Museum Goch spielen mit der Materialmalerei abstrakter Geometrien und Reduzierungen der Moderne. Das Häuschen steht auf der Kippe, fällt symbolisch in sich zusammen, erstrahlt zugleich in reiner Information des Lichts als eine Urform des Enlightenments, der intimen und im Stadium der erschreckend un-heimlichen Aufklärung als eine gescheiterte Idee von Welt und Erkenntnis. Denn nicht nur Menschen, auch Dinge besitzen Handlungskraft. Der französische Philosoph und Soziologe Bruno Latour hat mit seiner Theorie, dass Menschen nicht allein handeln, sondern vernetzt mit Dingen aktiv sind, das Denken weltweit seit den 1970er Jahren inspiriert. Die erhitzte Erde rumort gewaltig und verwandelt sich durch den drohenden ökologischen Kollaps politisch, aber vor allem die gegenständliche Welt wirke an der Verfertigung mit. Die Menschen sind abhängig von dem, was Gegenstände mit ihnen machen, und alles bildet mit den Menschen ein großes Kollektiv: Ozonlöcher, Bäume, Mikroben, Kondome, Reagenzgläser, Pipelines, Autos, Computer, Handys!
Auch Paul Schwer könnte uns wie Latour vorhalten, dass wir nie modern gewesen seien, uns einzig die Dinge human machen können und die Berufsgruppe der Techniker und Wissenschaftler in Feldstudien wie einen exotischen Stamm beschreiben. Zurück zur Ausstellung. In Ratingen beleuchten die leeren hinterleuchteten Displays vor und im Museum wörtlich die These des kanadischen Medientheoretikers Marschall McLuhan: Der Inhalt eines Mediums ist immer ein anderes Medium. Wenn jemand nach dem Inhalt der Rede fragt, so antwortet McLuhan, dass es sich dabei um einen Denkprozess handelt, der an sich nonverbal ist. Ein abstraktes Bild repräsentiert seiner Ansicht nach die direkte Manifestation eines kreativen Gedankenprozesses, wie er auch in Computer-Designs auftritt. Die einzige Ausnahme in dieser Reihe bildet das Licht: „Electric light is pure information. It is a medium without a message, as it were, unless it is used to spell out some verbal ad or name.“ Sofern es sich also nicht um eine Sprach-Leuchtreklame handelt, habe Licht als Ur-Medium keinen Inhalt, sondern sei reine Information, wie sie auch Schwer einsetzt und uns zum Erforschen oder bewusstem Betrachten der Zustände auffordert.
Paul Schwer will uns somit hinters Licht führen. Ursprünglich bedeutete die Wendung, dass jemand dorthin geführt wurde, wo das Licht einer Lampe abgeschirmt war und man eher im Dunkeln stand. Bei Schwer jedoch wird damit das Aufzeigen der Möglichkeiten verstanden, wenn etwas nicht mehr im Spotlicht oder Fokus steht. In diesem Sinne ist das Erforschen der Kunst, wie aktuell in den beiden Museen Ratingen und Goch, von den beiden Enden eines unendlichen metamorphotischen Fließens her betrachtet, ein tiefenpsychologisches Unternehmen mit ungewissem Ausgang. Das Reale erscheint wie eingebrochen in den Oberflächen transformierter Geometrien, und wie mit Thermodynamik, Säure und Ätzung gequält, brechen die Plastiken in doppeltem Sinne auf, uns von sich und ihrer Befindlichkeit zu erzählen. Ihre gefährliche Schönheit lässt uns wohlig erschauern, und am liebsten würde man sich einen Platz in ihrem Schoße suchen.
Gleichsam als Nachwort zum langen Spiel des Vorworts, möchte ich mit Hartmut Böhme schließen, der 1993 in Welt aus Atomen und Körper im Fluss. Gefühl und Leiblichkeit bei Lukrez schreibt:
So geht es auch nicht um das Ansich-Sein (das nur gedacht werden kann), sondern darum, in der sinnlichen Welt Ursprünge von Wertschätzungen zu verankern, wie sie Geschmack und Geruch elementar vermitteln. Eine ihnen analog konstruierte Wahrnehmungswelt begründet eine Ästhetik als Form des guten Lebens. Denn was gut und schlecht ist, erschließt sich von den Distinktionen her, die in den anziehenden oder abstoßenden Qualitäten der Atmosphären, der auratisch verstrahlten Simulakren begründet liegen. Alles Geistige und Ethische der epikureischen Welt basiert darum auf den elementaren Distinktionen der Sinne, die ein Erschnuppern der Bekömmlichkeit der Dinge sind. So führt ein direkter Weg vom Medium der Wahrnehmung zur Ethik der Ataraxia und Eudaimonia.