Von beiden Enden – Malerei.
Zur Ausstellung im Museum Ratingen

Von 
Alexandra König


Bereits seit den frühen 1990er Jahren hat das Museum Ratingen Werke von Paul Schwer in Gruppen- und 1996/97 in einer ersten Einzelausstellung gezeigt. Die Arbeiten von damals unterscheiden sich klar von den heutigen. Noch ganz eindeutig waren sie der Gattung der Malerei zuzuordnen. Und doch war auch damals schon all das angelegt, was Schwer über die Jahre als Wesen seines Werks herausschälte. Aspekte wie die Verräumlichung der Farbe und die Auflösung der Form, Transparenz und Licht sind die Themen, die damals wie heute sinnfällig werden beim Anblick seiner Arbeiten und für die er in der kontinuierlichen Auseinandersetzung mit seinen Fragestellungen überzeugende und unerwartete Mittel der Umsetzung gefunden hat. Anlässlich einer Ausstellung hier im Haus im Jahr 2000 stellte Stephan Berg in einem Katalogbeitrag heraus, dass innerhalb der Entwicklung der modernen Malerei Paul Schwers Arbeit „[…] durch eine für die Malerei des 20. Jahrhunderts insgesamt signifikante Doppelgesichtigkeit gekennzeichnet ist, in der die Frage, welche Realität und welchen Ort ein gemaltes Bild heute beanspruchen kann, bzw. muss, nicht im Sinne einer eindeutigen Entscheidung, sondern als struktureller Balanceakt beantwortet wird.

Paul Schwer geht vom klassischen Tafelbild aus. Was nicht weiter verwundert, denn Malerei hat er an der Düsseldorfer Kunstakademie studiert, bezeichnender Weise als Meisterschüler eines Bildhauers; Erwin Heerich war sein Lehrer. Und so treten neben seine Tafelbilder seit Anfang der 1990er Jahre die Installationen, in denen er oft großformatige Farbbahnen den Raum durchschneiden lässt. Farbbahnen, deren Trägermaterial zunächst noch Papier ist, die aber zunehmend an Transparenz gewinnen und in der Raumanordnung und gegenseitigen Zuordnung selbst raumhaltig werden und Räume definieren. Hier setzt diese Entwicklung an, deren eines, vorläufiges Ende in der Ratinger Ausstellung zu betrachten ist. Die Transparenz des Bildträgers gipfelt in der Verwendung von Plexiglasplatten und PET-Folien, auf die Schwer seine oft organisch gebundenen Pigmente mit deutlichem Pinselduktus aufbringt oder die er mit Siebdrucken belegt. Doch auch das vollständig durchsichtige Trägermaterial wird in seiner Materialität nicht negiert. Selbst als Tafelbild montiert Schwer die Platten mit einem signifikanten Abstand vor die Wand, so dass durch den Lichteinfall die Bemalung einen Schatten wirft und der Künstler einem optischen Verschmelzen von Gemälde und Wand – wie etwa bei einem Fresco – entschieden entgegenarbeitet. Doch Schwer geht noch wesentlich weiter, in dem er sein Bild von der Wand nimmt, es verformt, verdreht und ihm durch Faltung, Stauchungen oder Expansion ein dreidimensionales Volumen gibt. Das Verhältnis von Malerei zum Untergrund bleibt dabei ambivalent. Scheint es zunächst die reine Farbe, die in Verläufen und Strukturen Raum konstituiert, werden durch Risse, Dehnungsspuren und Öffnungen die Folien selbst zu deutlich gemacht, als dass der Betrachter sie negieren könnte. Noch stärker greift das Trägermaterial in die Erscheinung des Werks ein, wenn die bis zu 5 mm starke Kante der ehemaligen Kunststoffplatte sich als mal dunkle, mal leuchtende Linie durch das Farbknäuel windet.

So wie Paul Schwer das Verhältnis von Bild und Bildträger in der Schwebe hält, so bleiben seine Arbeiten auch in der Frage nach der Gattungszugehörigkeit ambivalent. Denn die ins Dreidimensionale geschmolzenen, gestauchten und gezogenen Objekte verleugnen auch als installative Elemente ihre Zugehörigkeit zur Malerei nicht. Wie der Einblick in eine alchimistische Forschungsanstalt mutet geradezu die raumgreifende Bodeninstallation der Ratinger Ausstellung an, in der das tradierte Tafelbild dekonstruiert aufgeblättert erscheint. Zerlegt in Rahmen, Fläche, Linie und Farbe besetzt es die architektonische Hülle. Die Bildelemente verselbständigen sich. Mitunter verfestigen sie sich, werden zu etwas neuem, wenn sich etwa das Lineament zu einem geometrischen Raster ordnet, Boden und Wandflächen überzieht und sich als Gerüst in den Raum fortsetzt. Umgekehrt lesbar zerfällt das eben noch stabil erscheinende Raster wie ein auf sandigem Grund errichtetes Gebäude. Assoziationen zu Bauen und Konstruieren – eher als zu Architektur – forciert Schwer immer wieder durch den Einsatz seiner Materialien. Baustrahler, Baugerüste, Trockenbauelemente aber auch die Motive seiner Fotografien, die schemenhaft in den Arbeiten auftauchen verweisen auf Gebäude. Auf das Errichten und Zerfallen, ja zerstören. Manchmal mit einem Knall, wenn ein Baustrahler in der Installation Blast eine farbige Glasplatte zum Platzen bringt. Ordnung und Chaos liegen da ganz nah beieinander und alles ist Energie.